Matschen im Wald 2021 – ein vergängliches Kunstprojekt
19. Juni 2025

Liebe*r Couchgalerie-Besucher*in,
willkommen zu Matschen im Wald 2021 – einem vergänglichen Kunstprojekt.
Zwischen August und November 2021 entstanden während meiner täglichen Gassirunden im Wald insgesamt 13 Skulpturen und Reliefs aus Waldboden. Die Werke waren flüchtig – geformt aus nassem, verdichtetem Boden, aus Spuren und Narben, aus einem Material, das normalerweise nicht dauerhaft formbar ist. Matschen im Wald war für mich eine experimentelle Auseinandersetzung mit Natur, Veränderung und dem Eingriff des Menschen in die Landschaft. Der Wald wurde in dieser Zeit zu einem stillen Atelier.
Meine Arbeitsgrundlage
Im Spätsommer 2021 wurden im Wald großflächig Bäume gefällt. Die Maschinen, die dabei zur Holzernte eingesetzt wurden, hinterließen tiefe Spuren im Waldboden. Harvester und Forwarder – spezialisiert auf das effiziente Fällen und Abtransportieren von Baumstämmen – drücken mit ihrem Gewicht und ihrer Größe tief in den feuchten Boden und verdichten ihn. Dabei verändern sie die Erdschichten in Struktur und Festigkeit.
Die Reifen tragen ein grobes, kantiges Profil, das sich detailliert in den Boden abdrückt – wie ein Stempel, der eine fremde Sprache in die Erde schreibt. Es entstehen Muster, Linien, Kanten: maschinelle Spuren im Kontrast zur organischen Weichheit des Waldes.
Der Waldboden selbst ist weich und lebendig – bedeckt von Laub, Moos und Nadeln, durchzogen von Wurzeln und Mikroorganismen, die Nährstoffe zersetzen und den Boden belüften. Zum Modellieren eignet er sich allerdings kaum: Zu locker, zu krümelig, zu wenig Halt. Erst durch den Eingriff der Maschinen entsteht eine kompakte, feuchte Masse – ähnlich wie Tonklumpen – die sich formen, drücken, ritzen lässt.
Ein verwundeter Boden wird zu meinem kreativen Material. Die Verletzungen, Verdichtungen und Verformungen eröffnen mir eine einzigartige Arbeitsfläche – geprägt vom Menschen, aber offen für das Spiel mit der Natur. Und die Natur, das zeigt sich später, beginnt schon bald, sich alles zurückzuholen.
Matschen im Wald – eine Serie vergänglicher Skulpturen
Gesicht mit Zapfen
Ich erinnere mich nicht an den exakten Moment, als die Idee zu „Matschen im Wald“ entstand. Kein Geistesblitz, kein Plan. Es war eher ein gedankliches Stolpern beim Gassigehen. Der Boden war vom Regen durchweicht, tief zerfurcht von den Maschinen, die vor Kurzem noch Holz geerntet hatten.
Dann dieser Haufen – fester Matsch, dunkel, glänzend, schwer. Irgendetwas in mir dachte: Das lässt sich doch modellieren. Und gleichzeitig – Ekel. Die Erde war feucht, roh, fast körperlich. Ich holte die Gummihandschuhe aus dem Hunderucksack. Nur mit Barriere konnte ich mich annähern.
Das erste Objekt war ein Gesicht. Geformt aus verdichtetem Waldboden, mit Augenhöhlen, einem Stein als Nase und einem Zapfen im Mundwinkel. Vielleicht ein stiller Waldgeist. Vielleicht auch nur der Anfang.
Kopf mit Hut – Spachtel statt Gummihandschuh
Nach dem ersten Versuch mit Gummihandschuhen war klar: unangenehm und nicht nachhaltig. Also griff ich zu einem vertrauten Werkzeug aus meiner kreativen Grundausstattung – dem Spachtel.
Der Boden war hier besonders fest. Ideal für klare Linien und Formen. So entstand der „Kopf mit Hut“ – ruhig modelliert, kantig und konzentriert.
Die Schokofrau
Der Boden war glatt, nass und klebrig – wie Schokocreme oder … Die Idee zur „Schokofrau“ kam spontan, doch beim Modellieren mischte sich Faszination mit Ekel. Die glänzende Oberfläche hatte etwas Verlockendes und Abstoßendes zugleich. Ein kleiner Grenzgang. Und eine Figur mit überraschend viel Ausdruck.
Der Drachen
Ein flach liegender Körper, ein wuchtiger Kopf, angedeutete Krallen – über mehrere Tage hinweg stieg er langsam aus dem Wasser aufs Land. Anfangs nur ein formloser Klumpen, formbar und weich. Dann: modelliert, verfeinert, gehärtet. Ich kam immer wieder zurück, arbeitete weiter – bis sich das Wesen zeigte – und wieder verschwand.
Der Kopf im Holzstapel
Ein kleiner, beweglicher Kopf – der erste seiner Art. Mit O-Mund, flacher Nase und Gänseblümchen in den Augenhöhlen erinnerte er mich an einen Schrumpfkopf. Die Haare bestanden aus Rindenstücken. Ich setzte ihn in einen Holzstapel, wo er für einige Tage verweilte – gut sichtbar, fast wie ausgestellt.
Dann fiel er herunter. Und begann, sich still mit der Erde zu verbinden.
Der Bärtige mit Rindenrahmen
Ein Kopf im Relief, mit Bart – vielleicht das Weiße des Waldes selbst. Geformt aus recht trockenem Boden, mühsam modelliert. Zur besseren Sichtbarkeit habe ich ihn mit rötlichen Rindenstücken eingefasst.
Ein stiller Wächter, kaum sichtbar und doch ganz da.
Vogel im hohlen Stamm
Ein kleiner Vogel, der in die Hand passt – eines meiner Lieblingsstücke. Ich brachte ihm Federn meiner Hühner mit, sie wurden sein Schwanz. Die Augen sind aus Steinen, die Krallen aus Holz.
Wunderbar geborgen sitzt er in der runden Öffnung eines liegenden, hohlen Baumstamms – wie in einer kleinen Höhle.
Auf einem Foto in der Galerie sitzt meine Hündin Lotte daneben und schaut mich an, als wolle sie fragen: „Lebt der?“
Der Gebiss-Mann
Meine wohl witzigste Arbeit: ein Kopf mit zerfurchtem Gesicht, Mooshaar und einem strahlenden Lächeln. Er lehnte leicht an einem Hang – ganz entspannt.
Das Lächeln verdankte er einem kuriosen Fund: einem echten Tiergebiss, das ich irgendwann im Wald entdeckt und gesammelt hatte. Ich setzte es dem Kopf ein – und plötzlich grinste er mich an.
Der Gebiss-Mann mit Frau
Sein Lächeln war einfach unwiderstehlich. Die Frau mit Zapfenaugen, grünem Blätterhaar, Holznase und einem zahnlosen Lächeln ließ sich neben ihm nieder.
Zwei Wesen aus Matsch und Fundstücken – ein vergängliches Paar im Wald. Lange blieben sie dort beieinander, bis der Herbst sie langsam bedeckte und sie gemeinsam verschwanden.
Die Eule
Sie entstand ganz aus Walderde – feucht, formbar, geheimnisvoll. Zwei tiefe Augen, der angedeutete Schnabel, ein kompakter Körper: In wenigen Handgriffen war sie da, als wäre sie schon immer im Stamm verborgen gewesen. Der Baumstumpf wurde ihr Podest, das gebogene Aststück im Hintergrund rahmte sie wie ein aufgestellter Flügel.
Still wacht sie, verborgen und präsent zugleich. Ein Nachtwesen aus Erde und Stille.
Die Liegende
Eine weibliche Gestalt, auf einen Baumstumpf gebettet, geformt aus Erde, Ästen und Stein. Der runde, helle Stein markiert das Gesicht – offen, ohne Züge, wie eine Einladung zur Projektion.
Der Körper mit seinen weichen Rundungen ruht auf Holz. Die Brüste klar geformt, die Hüften voll – eine uralte, archaische Figur, zwischen Göttin und Erdgeist.
Ein Ast wird zum Arm, ausgestreckt wie in einer ersten Bewegung – vielleicht erwacht sie gerade und rekelt sich.
Ich ließ sie dort liegen, bis sie (ver)ging.
Der Esel
Ein schiefer Blick, der Ausdruck müde. Die Ohren sinken, die Beine noch schwer, als wollten sie nicht tragen, der Körper rau und brüchig wie der Grund, aus dem er stammt.
Ein Esel, erschöpft von all dem, was wir nicht sehen können. Von Geduld. Vom Dasein. Ein stilles Wesen, das schweigt und dennoch spricht und wartet – auf einen Blick, der ihn ganz sieht.
Der Schweinskopf
ein Tier – oder das Echo eines Albtraums:
Die Augen quellen hervor. Zwei Steine – das eine rund, das andere kantig – und doch starr. Er sieht nicht an, er sieht durch dich hindurch.
In der Mitte der Rüssel: wuchtig, gebläht, auf Empfang gestellt – er wittert dich.
Die Schnauze ist zu einem Lächeln verzogen. Kein freundliches. Ein entblößtes Zähnefletschen, steinhart.
Zähne wie Bruchstücke alter Werkzeuge, unregelmäßig, scharf, gefährlich.
Er ruht nicht. Er lauert. Ein Wesen aus Urangst und Boden, erschaffen für einen Moment – und schwer zu vergessen.
Liebe*r Couchgalerie-Besucher*in,
nach all diesen Erdfiguren, Reliefflächen und seltsamen Wesen endet hier mein Weg durch das Projekt Matschen im Wald 2021.
Seit dieser Zeit habe ich nie wieder vergleichbare Bedingungen mit einer so perfekt formbaren Matschmasse vorgefunden – was ich allerdings nicht bedauere. Matschen im Wald 2021 war ein einmaliges Experiment, das sich aus dem Moment heraus entfaltet hat. Es war schmutzig, intensiv, überraschend. Und es war vergänglich.
Vielleicht liegt genau darin die Kraft: im Zulassen des Vorübergehenden, im Gestalten mit dem, was da ist, im Spiel mit Material und Zeit.
Ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast, diese Spuren zu betrachten. Und wenn du Lust auf mehr Naturkunst hast: Hier geht’s zur Projekt-Kategorie: #malenimwald
Auf sowas muß man erst einmal kommen. Es sind tolle Wesen dabei entstanden. Ich glaube tatsächlich, mich hätte gereizt das mit den Händen zu machen. Aber wer weiss. Selbst wenn ich so Matsch finden würde, arbeiten am Boden ist bei mir tatsächlich raus. Aber es gibt ja soo viel was man machen kann. Mein Waldbild ist jetzt auch fertig. Morgen hole ich das Passepartout ab und dann mache ich Fotos. LG
Liebe Christine,
vielen Dank für deinen wertschätzenden Kommentar.
Mit Matsch aus dem Sandkasten oder am Strand hätte ich auch keine Problem, ich vermute, weil da meist auch Wasser im Spiel ist und ich, wann immer ich will, die Hände reinigen kann. Im Wald ist das kaum möglich. Außerdem ist Waldboden so lebendig und ich weiß ja nie, als Hundebesitzerin, wer wohin gemacht hat ;)))
Dann geh ich mal nach deinem Waldbild schauen.
Herzliche Grüße
Silke