Aktbilder-Chronik Teil 3: Kopiert, gespürt, gemalt – mein weiblicher Akt im Wandel

5. September 2025

In einem reich dekorierten Raum liegt eine barbusige Frau mit kurzem Haar und violetter Hose auf einem grünen Diwan. Sie trägt ein offenes, gelbes, transparentes Oberteil und hat die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Ihr Blick geht gedankenverloren in die Ferne. Der Hintergrund zeigt eine rot-goldene Wand mit senkrechten Mustern und stilisierten Kronen, ein kleines vergittertes Fenster mit dunklem Vorhang sowie ein Paar große weiße Vogelflügel, die an der Wand hängen. Auf dem roten Boden liegen Bücher, pinke Schuhe mit Schleifen, ein orientalischer Holztisch mit Früchten und Krug, sowie große grüne Blätter einer Zimmerpflanze.

Liebe*r Couchgalerie-Besucher*in!

Aktmalerei war für mich nie nur ein künstlerisches Thema. Es ging nie ausschließlich um Anatomie, Form oder Technik – sondern immer auch um Nähe, Scham, Mut und Sichtbarkeit. Meine Aktbilder sind Ausdruck innerer Prozesse, Spiegel von Sehnsüchten und Widerständen, Spiegelungen des Selbst.

Anekdote – Meine erste Begegnung mit dem Aktzeichnen (ca. 1990)

Mein erster und einziger Aktmalkurs fand etwa 1990 statt, ich war Anfang Zwanzig. Leider sind keine Bilder davon erhalten – vermutlich, weil ich sie als „unzeigwürdig“ empfand. Dafür erinnere ich mich umso klarer an eine Szene, die mir bis heute im Kopf geblieben ist:

Die Kursleiterin Cornelia Assi hatte ein männliches Aktmodell organisiert – kein Profi, aber mutig und bereit, sich vor uns zu entblößen. Ich jedoch stand verunsichert hinter meiner Staffelei, rang mit meinem Blick und brachte kaum einen Strich zu Papier. Es war mir unangenehm, ja fast peinlich, diesen nackten Körper anzuschauen – als würde ich etwas tun, das mir nicht zusteht.

Ganz anders eine weitere Teilnehmerin: Sie setzte sich ohne Zögern direkt vor das Modell, genau auf Augenhöhe mit seinem Genital – und zeichnete mit großer Klarheit genau das. Ich war schockiert, schämte mich fremd – und gleichzeitig konnte ich nur staunen über ihre Furchtlosigkeit und die Präzision ihrer Zeichnung.

Diese Szene markierte für mich den Beginn einer langen Auseinandersetzung mit dem Thema Akt – als künstlerisches Motiv, aber auch als persönlicher Spiegel. Viele Jahre und viele Bilder später nähere ich mich dem Körper auf meine eigene Weise: tastend, erzählend, oft symbolisch gebrochen – aber mit wachsender Freiheit. Nur noch einmal malte ich einen männlichen Akt – eine Rückenansicht.

Volkshochschulkurs: Frauen malen mutiger, unter der Leitung von Cornelia Assi (1991-1992)

Vielleicht war es kein Zufall, dass mich der Titel des nächsten Malkurses besonders anzog: „Frauen malen mutiger“. Auch wenn ich selbst damals noch alles andere als mutig war, spürte ich, dass genau darin eine Herausforderung lag, der ich mich stellen wollte – vorsichtig, aber entschlossen.

Wieder begegnete mir Cornelia Assi als Kursleiterin, wieder im Rahmen eines VHS-Kurses. Meine Vorbilder: große Künstler wie Otto Mueller, Matisse oder Modigliani – und immer wieder Frauenkörper, reduziert, expressiv, kraftvoll. Stilistisch öffnete sich für mich eine neue Welt: Die expressive Linie, die leuchtenden Farben, das Ungefilterte. Noch immer zögerlich, aber mit wachsendem Vertrauen begann ich, mich dem weiblichen Akt motivisch anzunähern – über das Kopieren großer Werke, aber auch über die Auseinandersetzung mit mir selbst.

Rückblickend fällt mir auf, dass ich mich fast ausschließlich an bekannten Vorbildern orientiert habe – obwohl das gar keine Vorgabe des Kurses war. Während andere Teilnehmer*innen frei und intuitiv arbeiteten, erinnere ich mich bei vielen eher an Landschaften, Stillleben oder abstrakte Motive. Aktbilder waren eher die Ausnahme.

Vielleicht brauchte ich damals die äußere Form, um mich dem Thema anzunähern. Die großen Meister schienen mir eine Art Schutz zu bieten – als dürften bestimmte Körper nur deshalb gezeigt werden, weil sie schon im Museum hängen. In der Reproduktion dieser Werke lag für mich etwas Befreiendes: Ich musste (noch) nichts Eigenes offenlegen, und konnte mich dennoch mit dem Akt auseinandersetzen – mit Form, Haltung, Farbe, Ausdruck.

Die VHS-Ausstellung: „Weibsbilder“ 10.- 24.Mai 1992

Meine Weibsbilder 1991/1992 – Mein Blick auf Frauenkörper in Pastell

Alle hier gezeigten Arbeiten entstanden mit Pastellkreide auf Papier, meist im Format 50 × 70 cm. Viele Bilder fotografierte ich im Rahmen der Ausstellung, leider selten in guter Qualität. Bei manchen weiß ich heute noch, auf welches Werk sie sich beziehen – bei anderen ist das Original nicht mehr eindeutig zuzuordnen.

„Liebespaar“ – nach Otto Mueller (1919)


Ein stehendes Paar: Der Mann trägt einen blauen Anzug, die Frau eine geöffnete gelbe bzw. orangefarbene Jacke. Die Szene spielt vor einem grünen Zaun oder Garten. Das Original wurde mit Leimfarbe auf Rupfen gemalt (106 × 80 cm) und hängt heute im Museum der bildenden Künste Leipzig.
Meine Version entstand mit Pastellkreiden. Ich habe das Bild später verschenkt.

„Die blaue Frau“ (nach unbekannter Vorlage)


Eine nackte weibliche Figur in sattem Blau – kraftvoll und reduziert. Leider ist mir die Vorlage nicht mehr bekannt.

„Die Nackten“ (nach unbekannter Vorlage)


Eine Gruppe nackter Körper in einer offenen Szene. Auch hier ist mir die ursprüngliche Bildquelle leider nicht mehr präsent. Vielleicht war es bereits eine freiere Annäherung – ich weiß es nicht mehr genau.

„Die Musikerinnen“ – nach Henri Matisse: La Musique (1939)

Zwei Frauen im Interieur: Links eine Figur in Ocker, sitzend, rechts eine blau gekleidete Frau mit Gitarre. Notenblätter liegen im Vordergrund, dahinter große grüne Blattornamente. Das Original befindet sich im Buffalo AKG Art Museum (ehem. Albright-Knox) in Buffalo, USA.
Auch wenn es sich nicht um einen Akt handelt, war das Bild Teil der Ausstellung – und eine willkommene Gelegenheit, mich an Matisse zu versuchen. Wieder arbeitete ich mit Pastellkreiden.

„Die Liegende“ – nach Amadeo Modigliani: Reclining Nude (um 1917–1919)


Das einzige noch erhaltene Bild aus dieser Zeit.

Mein Pastell entstand 1992 und basiert auf einem liegenden Akt von Modigliani – vermutlich Reclining Nude. Heute ist das Werk 33 Jahre alt und entsprechend verblasst.
Hier als Teil der Ausstellung Weibsbilder:

Eigene Bilder – mein Zugang zu inneren Bildern (ab 2003)

Nach dem VHS-Kurs „Frauen malen mutiger“ folgte eine Pause – und dann, viele Jahre später, der wohl entscheidendste Wendepunkt: Meine Teilnahme an einem langjährigen kunsttherapeutischen Prozess (etwa 1994-2006) bei Rita Wetzel.

Das größte Geschenk dieser Phase war, dass ich einen Zugang zu meinen inneren Bildern fand – Bilder, die nicht mehr aus Büchern oder Museen kamen, sondern aus mir selbst.

Zum ersten Mal entstanden Akte, die nicht mehr der Kunstgeschichte folgten, sondern meiner eigenen inneren Logik. Körper tauchten auf – verletzlich, weiblich, oft nackt – nicht als bloße Form, sondern als Ausdruck seelischer Themen: Würde, Ohnmacht, Freiheit, Sehnsucht.

Drei dieser Bilder aus dem Jahr 2003 stehen exemplarisch für diesen Übergang:

  • „Israels künftiger Retter wird aus dem Wasser gerettet“ – ein Akt mit biblischem Bezug, kraftvoll und würdevoll.
  • „Zwischen Ekstase und Fall“ – ein Bild des Maßlosen, des Kontrollverlusts.
  • „Nicht gefallen, nur gelandet“ – eine Odaliske im goldenen Käfig.

Sie markieren für mich den Moment, in dem der weibliche Körper in meiner Kunst zum Träger innerer Wahrheit wurde.

Israels künftiger Retter wird aus dem Wasser gerettet (2003)

Buntes, detailreiches Gemälde mit biblischem Motiv: Eine ägyptisch gekleidete, barbusige Frau mit dunklem Haar und Schmuck steht am Ufer eines stilisierten blauen Flusses mit Zickzack-Wellen. In der rechten Hand hält sie ein kleines Baby in einem Boot, das in ein regenbogenfarbenes Tuch gewickelt ist. Im Hintergrund wachsen hohe grüne Papyruspflanzen, zwischen denen eine Frau in pink-violettem Gewand steht, die beide Hände hebt. Am Himmel fliegen zwei rot-weiße Vögel vor einer gelben Sonne. Am unteren Bildrand wächst grüne Ufervegetation mit weißen Blüten.
2020 fotografiert

2. Mose / Exodus 2. In dieser Szene aus dem Alten Testament begegnet uns ein Moment tiefster Symbolik: Das Findelkind Mose wird von der Tochter des Pharao aus dem Nil gerettet – eine Wendung, die das Schicksal eines Volkes verändern wird.

Ich habe diese Geschichte im Rahmen eines kunsttherapeutischen Prozesses malerisch interpretiert. Der Blick richtet sich auf die starke weibliche Figur am Flussufer, nackt und geschmückt wie eine ägyptische Prinzessin, die mit sicherem Griff das kleine, bunt eingewickelte Kind in Empfang nimmt. Die Wellen des Nils ziehen sich wie ein Ornament durch das Bild, flankiert von Papyruspflanzen und einer sandfarbenen Uferlandschaft. Im Schilf steht eine weitere Frau – Miriam, die Schwester des Kindes, die alles beobachtet.

Es war mir wichtig, in dieser Arbeit sowohl Verletzlichkeit als auch Würde sichtbar zu machen. Der nackte Körper steht dabei nicht im Widerspruch zur Kraft der Figur, sondern betont ihre Lebendigkeit, ihr Mitgefühl, ihre Handlungsfähigkeit.

Das Bild entstand 2003 und gehört zu einer Reihe von Bildern mit biblischen Bezügen, in denen einige Figuren nackt erscheinen – als Ausdruck von Verletzlichkeit, Würde oder innerer Transformation. Die Verbindung von Körperlichkeit, Mythos und innerem Prozess hat sich dabei als besonders fruchtbar erwiesen – nicht nur künstlerisch, sondern auch persönlich.

Vom Fall zur Erstarrung – zwei Akte zwischen Sehnsucht und Begrenzung (2003)

Auch sie entstanden während eines kunsttherapeutischen Prozesses.

Zwischen Ekstase und Fall – das Maßlose im Moment der Selbstüberschätzung (2003)

Vor einem tiefblauen Nachthimmel mit weißen Sternen steht ein großer Baum mit kräftigem braunem Stamm und grüner, weit verzweigter Krone. Im Vordergrund ragt eine übergroße menschliche Hand ins Bild und greift nach einer nackten, geflügelten Frauengestalt, die kopfüber auf einen Steinhaufen zusteuert. Die Figur hat aufgerissene Augen, einen geöffneten Mund und weit ausgestreckte Arme, ihr Gesicht drückt Schock oder Angst aus. Die Flügel sind weiß mit schwarzen Spitzen. Der Boden ist dunkel und felsig.

Die geflügelte Figur, die in „Zwischen Ekstase und Fall“ kopfüber auf die Steine zusteuert, taucht ein weiteres Mal auf – diesmal in veränderter Gestalt, in einem neuen Setting. Während das erste Bild stark symbolisch aufgeladen ist und bereits im Beitrag über meine Schreibilder beschrieben wurde, möchte ich es hier aus einer anderen Perspektive betrachten: als eine Aktdarstellung, die Körperlichkeit, Schamlosigkeit und Verletzlichkeit sichtbar macht.

Der nackte Frauenkörper mit weit geöffnetem Mund steht hier im Spannungsfeld zwischen Ekstase und Kontrollverlust, zwischen Begehren und Strafe. Die riesige Hand greift nach ihr wie nach einem Spielzeug, der Sternenhimmel bleibt gleichgültig. In diesem Bild zeigt sich Nacktheit nicht als Einladung, sondern als Preisgabe, als Ohnmacht im Moment des Falls.

Nicht gefallen, nur gelandet – die Odaliske ohne Ausweg (2003)

Das zweite Bild – die Odaliske im Harem – setzt den Gedanken fort, verschiebt ihn jedoch: Die Flügel, im ersten Bild noch Symbol des Scheiterns, hängen nun dekorativ und funktionslos an der Wand. Die Figur ist weiterhin nackt, doch sie liegt nun scheinbar bequem, umgeben von warmen Farben, ornamentalen Mustern, Büchern, Früchten. Und doch ist auch hier etwas aus der Balance geraten. Die Pose ist offen, fast selbstbewusst, aber der Blick geht ins Leere. Der Raum wirkt gleichzeitig behaglich und verschlossen.

In einem reich dekorierten Raum liegt eine barbusige Frau mit kurzem Haar und violetter Hose auf einem grünen Diwan. Sie trägt ein offenes, gelbes, transparentes Oberteil und hat die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Ihr Blick geht gedankenverloren in die Ferne. Der Hintergrund zeigt eine rot-goldene Wand mit senkrechten Mustern und stilisierten Kronen, ein kleines vergittertes Fenster mit dunklem Vorhang sowie ein Paar große weiße Vogelflügel, die an der Wand hängen. Auf dem roten Boden liegen Bücher, pinke Schuhe mit Schleifen, ein orientalischer Holztisch mit Früchten und Krug, sowie große grüne Blätter einer Zimmerpflanze.
gemalt 2003, fotografiert 2025

Beide Bilder zeigen nackte Körper in symbolisch aufgeladenen Räumen. Doch während der Engel stürzt, scheint die Odaliske zu verharren – nicht mehr im freien Fall, aber auch nicht wirklich frei. Beide Figuren tragen Spuren von Sehnsucht in sich: nach Freiheit, nach Entgrenzung, nach einem Leben jenseits der engen Rollenzuschreibungen. Und beide bleiben gefangen – in einer übergroßen Hand oder in goldenem Muster.

Rückzug ins Wesentliche – ein Akt im Miniaturformat (2020)

Und dann: ein letzter Akt – klein, still und ganz bei sich (2020)

Auch wenn dieses kleine Bild im Rahmen meiner Affirmationskarten-Serie 2020 entstand, gehört es für mich – rückblickend – in die Reihe meiner Aktbilder. Es ist kein großes Format, keine große Geste, keine dramatische Szene. Und vielleicht ist es gerade deshalb ein besonders schöner Abschluss:

Kleines, ausdrucksstarkes Bild im Format einer Visitenkarte: Eine abstrahierte, weibliche Figur ist in Rückenlage dargestellt, der nackte Körper in warmen Gelb-, Orange- und Rosatönen. Die Formen sind stark vereinfacht und mit dunkler Kontur umrandet. Die Brustwarzen und Schamregion sind betont. Links oben ein baumartiges, dunkelgrünes Element mit goldenen Punkten. Der Hintergrund ist geometrisch gemustert, rechts mit Türkis und Gold, links in dunkleren Rottönen. Die Figur wirkt zugleich weich und kräftig, die Linienführung skizzenhaft und expressiv.

Dieses kleine Bild im Format einer Visitenkarte entstand im Rahmen meiner Affirmationskarten-Serie 2020 – und doch trägt es keinen Text. Es war für sich komplett. Eine nackte weibliche Figur, abstrahiert, vereinfacht, fast schematisch, und doch voller Ausdruck.

Nach den erzählerischen, großformatigen Bildern der Jahre zuvor ist dieses Werk ein stiller Nachklang. Es zeigt den Körper nicht mehr als Projektionsfläche, sondern als reine Form – warm, verletzlich, lebendig. Der Blick des Betrachters ist gelenkt auf das Innere, nicht auf das Drumherum. Vielleicht ist es genau das, was Affirmation in diesem Moment bedeutete: Ganz bei sich zu sein.

Liebe*r Couchgalerie-Besucher*in!

Mit diesem dritten Teil endet vorerst meine klassische Aktphase – von der Orientierung an Vorbildern über das Finden eigener Bildideen bis hin zu einem kleinen, stillen Abschlussbild im Miniaturformat.

Hier noch einmal die Links zu den ersten beiden Beiträgen: 

Aktbilder-Chronik Teil 1: Kulizeichnung, Körperbild & KI – nach Tamara de Lempicka (2018/2024)

Aktbilder-Chronik Teil 2: Ausflug in Akt und Skulptur

Teil 4 ist bereits in Arbeit – diesmal mit einem ganz neuen Medium:
Ich beschäftige mich mit Aktbildern, die mithilfe von KI entstanden sind.
Das ist nicht ganz einfach – denn während KI scheinbar alles kann, vermeidet oder verzerrt sie oft genau das: echte Nacktheit, Verletzlichkeit, Würde. Stattdessen begegnet mir viel Kitsch, Klischee oder Zensur.

Bislang gibt es nur zwei, das ich überhaupt zeigen könnte – vielleicht wird der nächste Beitrag also eher eine Reflexion über Grenzen als eine neue Sammlung. Oder ein Neuanfang.

Danke fürs Lesen!

Ich freue mich über deine Gedanken dazu – gerne in den Kommentaren.

Leave a Reply:

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert