Wenn der Mund offen bleibt – Kunst zwischen Staunen, Singen und Schweigen

3. August 2025

Liebe*r Couchgalerie-Besucher*in!

Nachdem im ersten Beitrag die Schreibilder im Mittelpunkt standen – Ausdruck von Wut, Schmerz und Überforderung – widmen wir uns heute einer anderen Form des offenen Mundes: dem leisen, tastenden, lauschenden, dem fragenden, staunenden, singenden, atmenden.

Wenn der Mund offen bleibt, muss nicht geschrien werden. Du findest hier vier fünf Skulpturen mit geöffnetem Mund – entstanden aus Ton, Stein, Walderde. Einige sind über zwanzig Jahre alt, andere längst vergangen. Doch sie tragen alle dieselbe Geste in sich: einen Moment des Ausdrucks, der nicht laut ist – aber klar. Ihre Münder schreien nicht, sie klingen nach. Und vielleicht erzählen sie dir beim Anschauen eine Geschichte – oder stellen dir einfach nur eine leise Frage.

🗿 Skulptur 0: Zwei Stimmen – eine schreit (2024, nachträglich eingefügt)

Diese kleine Tonfigur zeigt zwei Gesichter: das vordere blickt bedrückt, das hintere schreit. Vielleicht ist das Geschrei ausgelagert worden, nach hinten verbannt – oder es erhebt sich aus dem Inneren.

Sie wirkt wie ein plastisches Echo aus dem ersten Teil dieser Serie, in dem es um Schreibilder ging. Aber auch als Skulptur ist sie spannend – roh, verletzlich, expressiv.

Und so darf sie hier stehen: am Anfang. Als Ausnahme. Als Übergang. Als doppelte Stimme, die beides kennt – das Verstummen und das Aufbegehren.

🗿 Skulpturen 1: Kleine Sängerknaben – zwei Stimmen aus ungebranntem Ton (vor 2000)

Diese beiden Tonköpfe entstanden vor dem Jahr 2000 – aus ungebranntem, luftgetrocknetem Ton. Mit geschlossenen Augen, ruhiger Stirn und kleinen, runden Mündern erinnern sie an singende Knaben oder figürliche Miniaturen eines meditativen Moments. Ihre Haltung wirkt konzentriert, nach innen gekehrt – als würden sie summen, singen oder atmen.

Ich nannte sie „kleine Sängerknaben“. Sie lebten eine Weile im Garten – ausgesetzt der Witterung, dem Wechsel von Sonne, Regen und Frost. Langsam begannen sie, sich aufzulösen. Ihre Vergänglichkeit war Teil ihres Charmes: Stimmen aus Ton, leise, freundlich, nicht von Dauer – und gerade dadurch berührend.

🗿 Skulptur 2: Steinerne Stille – ein Mund wie eine Geste (vor 2000)

Diese etwa 20 cm hohe Skulptur entstand vor dem Jahr 2000 aus Speckstein – ein weiches, aber dauerhaftes Material. Der Kopf ist reduziert, fast abstrakt, doch klar lesbar: geschlossene Augen, angedeutete Nase, ein geöffnetes, ruhiges Mundoval.

Der Ausdruck bleibt offen – kein Schrei, kein Lächeln, sondern ein Moment des Innehaltens. Was kommt? Die Figur scheint zu lauschen oder in sich hineinzuhorchen. Der Mund ist offen, aber still – als wäre der nächste Impuls noch nicht entschieden.

Schon lange steht sie auf dem Fensterbrett des alten Schweinstalls und blickt über die weite Wiese. Wir sehen uns jeden Tag. Für das Foto habe ich sie in einen Blumentopf gesetzt – dort trifft sie auf Erde, Licht, Hühner… und wird Teil eines größeren Bildes.

🗿 Skulptur 3: Unvollendet – ein Kopf im Rohzustand (2003)

Diese Steinskulptur wurde 2003 begonnen – und blieb unvollendet. Ein grob behauener Kopf mit weit geöffnetem Mund, angedeuteten Augen, das Gesicht schroff, kantig, voller Werkzeugspuren. Der Schrei ist hier eher ein Gähnen der Materie selbst, als würde der Stein selbst Atem holen. Ein stummer Widerhall im massiven Stein.

Die Arbeit wurde nicht fertig,  weil nach sieben Jahren  für mich das Thema Steinbildhauerei abgeschlossen war.  Der innere Impuls, mit Stein zu arbeiten, war endgültig versiegt. Seitdem ruht der Kopf unbewegt in der Scheune. Schwer, rau, fragmentarisch – und gerade dadurch eindrücklich. Ein Ausdruck im Übergang, ein Werk, das das Unfertige nicht verbirgt, sondern trägt.

🗿 Skulptur 4: Der Kopf im Holzstapel – aus „Matschen im Wald“ (2021)

Dieses vergängliche Waldkunstwerk entstand 2021 beim Matschen im Wald – ein kleiner Kopf aus von Maschinen verdichteter Walderde, mit flacher Nase, offenem Mund und Gänseblümchen in den Augenhöhlen. Die Haare bestanden aus Rindenstücken, das Material weich, noch formbar. Ich setzte ihn in einen Holzstapel, wo er für einige Tage verweilte – gut sichtbar, fast wie ausgestellt.

Der Mund ist nicht zum Schrei geöffnet, sondern wirkt eher staunend, fragend, still. Als würde er flüstern: „Bin ich wirklich hier?“ oder „Und wer bist du?“ Kein Aufschrei, sondern ein leiser, erdiger Dialog mit der Umgebung. Dann fiel der Kopf herunter. Und begann, sich still mit der Erde zu verbinden.

Liebe*r Couchgalerie-Besucher*in!

Vielleicht hast du beim Lesen gespürt: Ein offener Mund muss nicht schreien. Er kann still sein, fragend, achtsam. Er kann ein Innehalten markieren – oder den Übergang zu etwas Neuem.

Nach diesem Ausflug in die Skulptur geht es im dritten Teil der Serie wieder um Bilder in verschiedenen Techniken – und um weitere Varianten von „Mund auf“. Ob gezeichnet, gemalt oder montiert: Die Motive bleiben offen – und laden dich ein, weiterzuschauen.

Bleib neugierig – und danke, dass du dabei bist.

👉 Zum ersten Beitrag der Serie: Kunst als Ventil für starke Gefühle 2002–2021 – Wenn Bilder schreien!

2 People reacted on this

  1. Mit Stein habe ich noch nie gearbeitet. Ton schon. Aber wenig. Ich möchte aber bald nochmal. Nr. 3 sieht riesig aus. Ich mag den unvollständige Zustand. Die Spuren die man sieht. LG, Christine

    1. Liebe Christine,
      ich will mal ganz herzlich Danke sagen, das du immer wieder kommentierst – was mich sehr freut!!
      Stein ist schon eine besondere Erfahrung, meine Zeit als Bildhauende will ich nicht missen und auch bald mal verbloggen – da gibt es reichlich Material. Einmal habe ich mich dabei verletzt (den Daumen etwas gematscht) und war damit im Krankenhaus. Der Daumen war schon perfekt erst versorgt und gebrochen war nichts. Trotzdem musste ich mir vorm Arzt anhören, ob ich es in Zukunft doch lieber mit Ton probieren sollte. Schon frech! Schlagfertig habe ich ihn gefragt, ob er verletzen Fußballern auch für die Zukunft Tischfußball empfiehlt.
      Übrigens Nr.3 ist etwa Kniehoch.

      Herzliche Grüße
      Silke

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